Die Geschichte der Baltimores - Joel Dicker [Rezension]

Mittwoch, September 21, 2016

Kurzmeinung:

Wieder ein sehr gutes Buch von Joel Dicker. Eine mitreißende Geschichte wunderbar ruhig erzählt mit glaubwürdige Protagonisten. Das großartige Porträt einer Familie -mit allen Höhen und Tiefen und Geheimnissen. 


Bewertung: 5 Sterne 


Klappentext: 

Bis zum Tag der Katastrophe gab es zwei Goldman-Familien. Die Baltimore-Goldmans und die Montclair-Goldmans. Die »Montclairs« sind eine typische Mittelstandsfamilie, kleines Haus im unschicken New Jersey, staatliche Schule für Marcus, den einzigen Sohn. Ganz anders die Goldmans aus Baltimore: Man ist wohlhabend und erfolgreich, der Sohn Hillel hochbegabt, der Adoptivsohn Woody ein Sportass erster Güte. Als Kind ist Marcus hin- und hergerissen zwischen Bewunderung für diese »besseren« Verwandten und Eifersucht auf ihr perfektes Leben. Doch Hillel und Woody sind seine besten Freunde, zu dritt sind sie unschlagbar, zu dritt schwärmen sie für das Nachbarsmädchen Alexandra - bis ihre heile Welt eines Tages für immer zerbricht. Acht Jahre danach beschließt Marcus, inzwischen längst berühmter Schriftsteller, dass es Zeit ist, die Geschichte der Baltimores aufzuschreiben. Aber das Leben ist komplizierter als geahnt, und die »Wahrheit« über ihre Familie scheint viele Gesichter zu haben.


Zum Buch:

Alles dreht sich wie gesagt um eine Katastrophe, die 2004 geschehen ist. Der Protagonist Marcus Goldmann schreibt darüber im Jahr 2012. Aber die Rückblicke reichen bis 1989 zurück, um die Geschichte der Baltimores zu erzählen und dem Leser zu erklären, wie es zu der Katastrophe kommen konnte.
Als Kind verbringt Marcus seine Ferien und verlängerten Wochenenden in Baltimore, um mit seinen beiden Cousins das perfekte Dreiergespann zu bilden. Denn in Baltimore ist Marcus' Meinung nach alles besser. Die Familie seines Onkels Saul Goldmann ist sehr reich, lebt in einem schicken Viertel in einem riesigen Haus, hat Angestellte und teure Autos. Sein Onkel ist gütig und intelligent und seine Tante Anita warmherzig und elegant. Der junge Marcus kann nicht umhin, die Goldmanns aus Baltimore (die Baltimores) mit seiner ganz und gar durchschnittlichen Familie zu vergleichen und ertappt sich dabei, wie er manchmal seine Eltern "betrügt", weil er lieber ein Baltimore wäre. 
Doch aller Luxus ist nicht so wichtig, wie die Zeit, die er mit seinen beiden besten Freunden verbringen kann. Zusammen mit Hillel und Woody wird er schwerelos und unbesiegbar. Sie verbringen unbeschwerte Momente zusammen und teilen alles -auch ihre Liebe zu Alexandra Neville, einem älteren Mädchen aus der Nachbarschaft. 
Doch langsam beginnt eine Entwicklung, die schließlich in der Katastrophe münden wird, die alles für immer verändert. 
Marcus beginnt acht Jahre nach der Katastrophe, die Geschichte seiner Familie aufzuschreiben und dabei zu hinterfragen und zu verarbeiten. In den diversen Rückblicken erhalten wir neue Informationen, sehen die Dinge in einem anderen Licht und entdecken Details, die den drei Jungen von damals verborgen blieben, die sie noch nicht verstehen konnten. 
Und wieder einmal zeigt sich, dass nicht immer alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint, und dass jeder seine eigene Wahrheit hat. 




Meine Meinung: 

Dieses Buch hatte es wahrscheinlich nicht leicht mit mir. Ich habe "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" so geliebt und konnte es kaum erwarten, dass zweite Buch von Joel Dicker zu lesen. Aber dementsprechend hoch waren auch meine Erwartungen. Und unwillkürlich habe ich dann beim Lesen dieses Buch mit dem Erstlingswerk verglichen -und wurde nicht enttäuscht. Zwar können die Baltimores nicht ganz an das erste Meisterwerk heranreichen, aber eben nur ganz knapp.

Joel Dicker kreiert hier ein weiteres Mal sehr plastische, echte Charaktere. Sie haben Ecken und Kanten, machen Fehler und gerade das macht sie so nah und menschlich. Sie lieben, leiden, sind neidisch, verzeihen -und als Leser erlebt man das alles mit ihnen, denn Dicker zieht uns so sehr in seine Geschichte hinein, bringt uns die Personen so nah, dass man gar nicht anders kann, als all ihre Gefühle mit ihnen zu empfinden.


Dabei behält er auch seinen herrlich unaufgeregten, eleganten und verzaubernden Schreibstil, der mich schon bei "Harry Quebert" so begeistert hat.


Auch dieses Buch wird wieder in mehreren Zeitebenen erzählt. Das ist hier allerdings nicht ganz so gut gelungen, wie bei dem ersten Buch.

Am Anfang war ich oft ein bisschen verloren und musste wieder zurückblättern, um mich an den Jahreszahlen zu orientieren. Aber dann findet man doch recht schnell in die Geschichte.

Alles dreht sich um diese eine große Katastrophe. Schon auf den ersten Seiten wird sie erwähnt und erst ganz zum Schluss erfahren wir, worum es sich dabei handelt. Allerdings wird während des ganzen Romans immer wieder Bezug auf "die Katastrophe" genommen. Dieses Stilmittel empfinde ich normalerweise als etwas billige Masche zum Spannungsaufbau. Doch bei Dicker hatte ich diesen Eindruck nur ganz selten und auch nur ganz leicht. Irgendwie hat er es mit seinem brillanten Schreibstil geschafft, sogar dieses Stilmittel gut umzusetzen. Aber ich finde, das hätte er eigentlich gar nicht nötig. Denn wer Geschichten so grandios erzählen kann, der braucht eigentlich keinen extra Trick zum Spannungsaufbau. 


Neben den Zeitsprüngen und dem Verweis auf die Katastrophe ist mein einziger kleiner Kritikpunkt, dass ich die Person des Marcus Goldman als nicht ganz konsequent weiterentwickelt empfunden habe. Wir erfahren in "Die Geschichte der Baltimores" viel über seine Jugend. Doch diesen jungen Marcus konnte ich nicht ganz in Einklang bringen mit dem Bild, was ich in dem ersten Buch von ihm gemacht habe.

Aber innerhalb des zweiten Buches sind die Entwicklungen der Charaktere und auch ihrer Beziehungen zueinander absolut stimmig, nachvollziehbar und glaubwürdig. 

Richtig gut gefallen hat mir die Entwicklung der Geschichte. Wir erfahren viel aus dem "aktuellen" Leben von Marcus Goldmann, aber auch aus seiner Vergangenheit. Wir bekommen Szenen aus seiner Jugend geschildert, wie er sie damals wahrgenommen hat, aber der ältere Marcus reflektiert die Geschehnisse von damals auch. 

Und nach und nach entblättert sich vor dem Leser die Geschichte der Goldmanns, zweier sehr unterschiedlicher Familien. Und immer dann, wenn man sich gerade eine Meinung gebildet hat, gibt Dicker eine neue Sicht auf die Dingen, die den Leser wieder alles hinterfragen lassen. 
Sehr gelungen fand ich die subtile Darstellung, dass, wenn die Geschichte einer Familie erzählt wird, es nicht DIE eine, gültige Wahrheit gibt, sondern das eben jeder seine eigene Sicht, seine eigene Wahrheit hat. 


Fazit:

Insgesamt ist es wirklich ein hervorragendes Buch, dass nur ganz knapp hinter dem Meisterwerk "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" zurückbleibt. 
Es ist wahrscheinlich gemein, dieses Buch mit seinem Vorgänger zu vergleichen, da es ein unglaublich hoher Vergleichsmaßstab ist. Und dennoch schneidet "Die Geschichte der Baltimores" sehr gut ab. Es ist ein schön geschriebenes, spannendes Buch, das ich uneingeschränkt empfehlen kann.

Meinen herzlichsten Dank an den Piper Verlag für das Rezensionsexemplar. Damit wurde eine kleine Bloggerin sehr glücklich gemacht. :) 


Biblio:
VerlagPiper
Seiten: 511

Preis: 24€ (Hardcover), 17,99€ (eBook) 


Das könnte dir auch gefallen: 

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert - Joel Dicker (Rezension)

Was ich euch nicht erzählte - Celeste Ng (Rezension)

MerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerken
MerkenMerken

You Might Also Like

6 Kommentare

  1. Dieses Buch habe ich mir kurz vor weihnachten geschenkt und ich bin auch schon ganz gespannt darauf. :)
    Tolle Rezi!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Oh ja, sich selbst Bücher zu schenken -das sind die besten Geschenke! ;D
      Da hast du auf jeden Fall noch ein paar wundervolle Lesestunden vor dir. Ein wirklich grandioses Buch. Kannst dann ja danach mal berichten, wie es dir gefallen hat.
      LG, Julia

      Löschen
  2. Hach, wie sehr habe ich "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" geliebt ♥ Nach deiner Rezension habe ich nur noch mehr Lust auf die Baltimores :)

    Eine sehr schöne Rezi!

    Liebe Grüße,
    Corina

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, ich habe Harry Quebert auch total geliebt! So ein tolles Buch. Freut mich, dass ich dir Lust auf die Baltimores machen konnte.
      Und Danke für das Lob. :)
      LG, Julia

      Löschen
  3. Ui krass, das war tatsächlich eines der wenigen Bücher, das ich abgebrochen habe, weil ich es so klischeehaft erzählt fand. Und irgendwie hab ich ab einem bestimmten Zeitpunkt jede Wendung vorhergesehen, bis ich es abgebrochen habe. Hmmm. Vielleicht muss ich es nochmal von vorne anfangen, die Grundprämisse des Plots mit diesen beiden Familien und den drei Cousins fand ich nämlich gut.
    Den ersten Roman des Autors fand ich sehr spannend, aber die Liebesgeschichte (ich will hier andere nicht spoilern) etwas unglaubwürdig.
    Ich schau mich gleich noch weiter bei dir um, schöne #litnetzwerk-Grüße!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Sabine,
      Oh nein, das ist ja schade, dass es dir nicht so gefallen hat. Ich muss sagen, ich fand Harry Quebert auch besser, aber die Baltimores immer noch sehr gut.
      Hoffentlich kann das Buch dich beim zweiten Lesen mehr begeistern, falls du ihm noch mal eine Chance gibst. :)
      Liebe Grüße, Julia

      Löschen

Ich liebe den Austausch mit meinen Leser*innen und freue mich über jeden Kommentar.
Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://leselustbuecher.blogspot.com/p/datenschutzerklarung.html) und in der Datenschutzerklärung von Google (https://policies.google.com/?hl=de&gl=de).

Über mich


Hallo, ich bin Julia, 28, und der Bücherwurm hinter dem Blog Leselust.
Seit 2016 blogge ich hier über Bücher, Literaturevents und was mich sonst so beschäftigt.
Ich liebe Bücher, Kaffee, das Meer und Musik.
Wenn ihr mehr über mich wissen wollt, dann schaut bei "Über mich" vorbei oder schreibt mir auch gern. Ich habe immer ein offenes Ohr für euch.