Ellbogen - Fatma Aydemir [Rezension]
Samstag, Mai 06, 2017Kurzmeinung:
Was für ein großartiges Debüt. Zugegeben, an die teilweise sehr grobe, aggressive Sprache musste ich mich erst gewöhnen. Aber dieser Stil passt einfach zu der Geschichte, die erzählt wird und verschmilzt so zu einem stimmigen Gesamtbild. Eine Geschichte, die aktueller kaum sein könnte und Einblicke gibt, in die Perspektivlosigkeit und das Reinrutschen in eine Abwärtsspirale aus Diebstahl, Gewalt und Flucht.Bewertung: 5 Sterne
Klappentext:
Sie ist siebzehn. Sie ist in Berlin geboren. Sie heißt Hazal Akgündüz. Eigentlich könnte aus ihr eine gewöhnliche Erwachsene werden. Nur dass ihre aus der Türkei eingewanderten Eltern sich in Deutschland fremd fühlen. Und dass Hazal auf ihrer Suche nach Heimat fatale Fehler begeht. Erst ist es nur ein geklauter Lippenstift. Dann stumpfe Gewalt. Als die Polizei hinter ihr her ist, flieht Hazal nach Istanbul, wo sie noch nie zuvor war. Warmherzig und wild erzählt Fatma Aydemir von den vielen Menschen, die zwischen den Kulturen und Nationen leben, und von ihrer Suche nach einem Platz in der Welt. Man will Hazal helfen, man will mit ihr durch die Nacht rennen, man will wissen, wie es mit ihr und mit uns allen weitergeht.
Was mir als erstes als sehr besonders bei diesem Buch aufgefallen ist, ist die Sprache. Der Umgangston ist teilweise sehr grob und roh, dadurch aber auch sehr echt.
Hazal redet Klartext. Es ist in dem Buch abgeduckt, was ihr gerade durch den Kopf geht. Das ist manchmal nicht schön, aber auf jeden Fall "echt". So kamen in den Sätzen gerne mal Wörter wie "abhaten", "du Opfer" oder auch "verfickt" vor. An die Wortwahl musste ich mich erstmal gewöhnen, aber es passt eben zu dem, was erzählt wird und von wem erzählt wird und ergibt insgesamt ein stimmiges Bild.
Die Charaktere sind trotz der groben Sprache fein beobachtet und genau portraitiert.
Zunächst ist da Hazals Familie. Ihre Eltern sind sehr streng, wenig liebevoll und engen Hazal sehr ein. Auch die Religion und die Anforderungen, was von einem muslimischen Mädchen erwartet wird, spielen im Familienleben eine große Rolle.
Insgesamt bekommt der Leser einen interessanten Einblick in die türkische Kultur, das Familiengefühl, die Religion und das Frauenbild.
Hazal ist eine sehr coole Protagonistin, die irgendwie immer ein bisschen trotzig und frech wirkt. Aber gleichzeitig ist sie auch nachdenklich und verletzlich. Sie sieht, wie sehr die Religion sie einengt, wie die Frauen benachteiligt werden.
Sie tut knallhart und tough, aber eigentlich ist sie unsicher. Vor allem wenn sie über ihren Schwarm Mehmet redet, kann man das spüren.
Nach und nach lernt man Hazal besser kennen, sieht den weichen Kern hinter der harten Schale.
So zum Beispiel, wenn plötzlich in einem Nebensatz erwähnt wird, dass sie mehrmals versucht hat sich das Leben zu nehmen.
Man taucht immer mehr ab in ihre Welt, die teils aus Selbstmitleid, teils auch aus echter Perspektivlosigkeit besteht. Sehr glaubwürdig gerät man mit ihr in diese Abwärtsspirale aus Ablehnung und Frustration, die zunächst zu Ladendiebstahl und dann zu roher Gewalt führt.
Wir fliehen mit Hazal nach Istanbul und sind mit ihr gemeinsam enttäuscht, weil dort doch nicht alles so toll ist, wie erhofft. Und auch Mehmet ist nicht der Traumprinz, den sie sich ausgemalt hatte.
Ab hier hat mich das Buch dann so richtig in seinen Bann gezogen, da Hazal eine sehr spannende Entwicklung durchmacht und der Charakter an Tiefe gewinnt. Das ist sehr interessant und durch die Ich- Perspektive sehr gut mitzuverfolgen.
Hazal redet Klartext. Es ist in dem Buch abgeduckt, was ihr gerade durch den Kopf geht. Das ist manchmal nicht schön, aber auf jeden Fall "echt". So kamen in den Sätzen gerne mal Wörter wie "abhaten", "du Opfer" oder auch "verfickt" vor. An die Wortwahl musste ich mich erstmal gewöhnen, aber es passt eben zu dem, was erzählt wird und von wem erzählt wird und ergibt insgesamt ein stimmiges Bild.
Die Charaktere sind trotz der groben Sprache fein beobachtet und genau portraitiert.
Zunächst ist da Hazals Familie. Ihre Eltern sind sehr streng, wenig liebevoll und engen Hazal sehr ein. Auch die Religion und die Anforderungen, was von einem muslimischen Mädchen erwartet wird, spielen im Familienleben eine große Rolle.
Insgesamt bekommt der Leser einen interessanten Einblick in die türkische Kultur, das Familiengefühl, die Religion und das Frauenbild.
"Das erste, was ich nach dem Sprechen gelernt habe, war das Lügen." (Ellbogen, S. 119)
Hazal ist eine sehr coole Protagonistin, die irgendwie immer ein bisschen trotzig und frech wirkt. Aber gleichzeitig ist sie auch nachdenklich und verletzlich. Sie sieht, wie sehr die Religion sie einengt, wie die Frauen benachteiligt werden.
Sie tut knallhart und tough, aber eigentlich ist sie unsicher. Vor allem wenn sie über ihren Schwarm Mehmet redet, kann man das spüren.
"Einsamkeit kann man nicht teilen." (Ellbogen, S. 93)
Nach und nach lernt man Hazal besser kennen, sieht den weichen Kern hinter der harten Schale.
So zum Beispiel, wenn plötzlich in einem Nebensatz erwähnt wird, dass sie mehrmals versucht hat sich das Leben zu nehmen.
"Vielleicht ist Normalsein wirklich das Schlimmste, das einem passieren kann." (Ellbogen, S. 158)
Man taucht immer mehr ab in ihre Welt, die teils aus Selbstmitleid, teils auch aus echter Perspektivlosigkeit besteht. Sehr glaubwürdig gerät man mit ihr in diese Abwärtsspirale aus Ablehnung und Frustration, die zunächst zu Ladendiebstahl und dann zu roher Gewalt führt.
Wir fliehen mit Hazal nach Istanbul und sind mit ihr gemeinsam enttäuscht, weil dort doch nicht alles so toll ist, wie erhofft. Und auch Mehmet ist nicht der Traumprinz, den sie sich ausgemalt hatte.
Ab hier hat mich das Buch dann so richtig in seinen Bann gezogen, da Hazal eine sehr spannende Entwicklung durchmacht und der Charakter an Tiefe gewinnt. Das ist sehr interessant und durch die Ich- Perspektive sehr gut mitzuverfolgen.
Fazit:
Insgesamt steckt in diesen knapp 300 Seiten so viel drin. Das Buch ist Entwicklungsroman, Milieustudie, Gesellschaftskritik. Und ist dabei hoch aktuell, wenn Themen wie Migration, Integration und kulturelle Identität angesprochen werden. Aber auch Vorurteile und Ängste gegenüber Flüchtlingen, die politische Situation in der Türkei und Erdogan Gegner dort und Anhänger hier werden thematisiert.
Das alles ist aber gut verpackt in einer Geschichte, die unterhält, die anders ist und frisch.
Ein großartiges Debüt. Nah, authentisch, frech und vielseitig. Absolute Leseempfehlung!
Ein herzliches Dankeschön an den Hanser Verlag für das Bereitstellen eines Rezensionsexemplars.
Verlag: Hanser
Seiten: 272
Preis: 20,00€ (Hardcover), 15,99€ (eBook)
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Ein großartiges Debüt. Nah, authentisch, frech und vielseitig. Absolute Leseempfehlung!
Ein herzliches Dankeschön an den Hanser Verlag für das Bereitstellen eines Rezensionsexemplars.
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Seiten: 272
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6 Kommentare
Tolle informative Rezi :-)
AntwortenLöschenVielen Dank, Birgit. :)
LöschenIch schleiche um dieses Buch schon ein Weilchen herum und Deine Rezension hat mich darin bestärkt, dass ich es nun wirklich bald lesen muss. Hab Dank für die tolle Buchvorstellung!
AntwortenLöschenLG Gabi
Danke liebe Gabi. Das freut mich sehr. Und am meisten freut mich, dass dieses Buch eine Leserin mehr bekommt und du in den Genuss einer starken Geschichte kommen wirst. Bin gespannt auf deine Meinung. Und lass dir am Besten nicht zu viel Zeit mit dem Buch. Es lohnt sich nämlich wirklich ;)
LöschenLiebste Grüße, Julia
Eine sehr tolle Rezension, die du hier verfasst hat und mich darin bestätigt, dass ich das Buch jetzt unbedingt und ganz dringend lesen muss. Vielen Dank.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Petzi
Vielen Dank liebe Petzi. Das freut mich sehr. Und ja, lies dieses Buch unbedingt. Und zwar möglichst bald. Es lohnt sich wirklich. Ich wünsche dir ganz viel Vergnügen bei der Lektüre und bin gespannt auf deine Meinung.
LöschenLiebst, Julia
Ich liebe den Austausch mit meinen Leser*innen und freue mich über jeden Kommentar.
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