Rezension: "Stalins Kühe" von Sofi Oksanen

Samstag, Mai 21, 2016


Kurzmeinung:

Interessante geschichtliche Hintergründe, aber leider etwas langatmig und durch die vielen Zeitsprünge und Perspektivwechsel kompliziert zu lesen.


Klappentext:

Annas Eltern trennen sich, als ihre Mutter Katariina herausfindet, dass ihr Mann sie betrügt. Sie, die Estin, verleugnet ihre Herkunft, weil sie weiß, welch schlechtes Ansehen Estinnen in Finnland haben – sie gelten als russische Huren, die es geschafft haben, durch Heirat nach Finnland zu entkommen. Aus Angst, dass ihrer Tochter die gleiche Verachtung zuteilwird wie ihr, darf diese die Sprache nicht lernen und keinem sagen, woher die Mutter stammt. Dabei fahren die beiden regelmäßig nach Estland, um die Familie zu unterstützen, die das Grauen der sowjetischen Arbeitslager kennenlernte und unter den Bespitzelungen und Erpressungen durch enge Vertraute litt. Während Anna um ihr Gewicht kämpft und lernen muss, dass sie wirklich krank ist und die anorektische Bulimie sie umbringen kann, erfährt der Leser die Hintergründe der Familiengeschichte, Ursache für Annas Leiden, die bis in die Zeit der Besetzung Estlands nach dem Zweiten Weltkrieg zurückreicht. In brillanter Sprache, mit genauer Kenntnis der historischen Hintergründe und einer meisterhaften Komposition beweist Sofi Oksanen erneut, warum ihre Romane weltweit gefeiert werden.



 Zum Buch:

Das Buch wird Abwechselnd von Katariina und ihrer Tochter Anna erzählt. Neben dem Perspektivwechsel gibt es auch immer Zeitsprünge, so dass ich mich manchmal sehr konzentrieren musste, um das Erzählte einordnen zu können. Es geht hin und her, zwischen Estland und Russland, zwischen Katariina und Anna, von den 40ern bis in die 90er.

Allerdings ist es spannend, die Geschichte der Familie sowohl aus Sicht der Mutter, als auch aus Sicht der Tochter zu erfahren. Die beiden nehmen Situationen und Gegebenheiten oft ganz unterschiedlich wahr und man merkt den Generationsunterschied und das sie in unterschiedlichen Welten großgeworden sind.

Wenn aus Katariinas Sicht geschrieben wird, erfährt man viel Geschichtliches. Über die Situation in Estland zu Zeiten des Kommunismus, und über die Beziehung des Landes zu Finnland. Über die Widerstandskämpfer und den Geheimdienst.

Katariina heiratet einen Finnen und verlässt ihr Heimatland. In Finnland allerdings lebt sie ein Leben voller Geheimnisse, denn niemand soll wissen, das sie Estin ist. Frauen aus Estland haben in Finnland einen schlechten Ruf und werden als "russische Huren" bezeichnet. Und so verbietet Katariina ihrer Tochter auch, estnisch zu sprechen, sie hört keine estnischen Lieder, unterdrückt diesen Teil von ihr komplett.

Anna leidet unter diesen Heimlichkeiten, lernt trotzdem estnisch. Sie findet ihren Platz weder so richtig in Finnland, noch in Estland. Sie entwickelt langsam eine Essstörung, die immer weiter zu einer anorektischen Bulimie wächst. Und das bringt auch wieder viel Heimlichtuerei, Verstecken und Lügen mit sich. Und Distanz - Anna fällt es schwer, Nähe zuzulassen und sich auf eine Beziehung einzulassen.



Meinung:

Insgesamt hat mir das Buch leider nicht so gut gefallen. Am Anfang fand ich die geschichtlichen Hintergründe sehr spannend, da ich so gut wie nichts über die Geschichte von Estland und Finnland wusste. Diese interessanten Aspekte sind sehr atmosphärisch und einfühlsam beschrieben, so dass mir nicht nur die geschichtlichen Fakten nährgebracht wurden, sondern ich mir auch die Stimmung in den Ländern gut vorstellen konnte. Es wird toll vermittelt, welcher Zeitgeist gerade herrscht und welche Vorurteile in den Köpfen der Menschen sitzen.

Allerdings sind diese Leckerbissen verpackt in einer verworren gestrickten Handlung, die dem Leser mit dem vielen Hin und Her zwischen Zeiten, Orten und Perspektiven sehr viel Konzentration abverlangt. Und das kostet Kraft und hat mich dazu bewogen, das Buch mehrmals zur Seite zu legen.

Außerdem werden sehr viele Personen nur kurz eingeführt und mir war oft nicht ganz klar, wo sie in dem komplizierten Beziehungsgeflecht ihren Platz finden.

Annas Essstörung wird anfangs gut beschrieben. Der Leser erfährt Fakten und viel interessantes über das Leben und den Alltag mit dieser Krankheit. Und auch hier schafft die Autorin es, eine Stimmung zu vermitteln, die Gefühle anzusprechen. Aber nach einiger Zeit verliert sich die Atmosphäre leider in ewigen Wiederholungen und am Ende hat mich der "Anna- Teil" fast nur noch gelangweilt.




Fazit:

Wer sich speziell für Bulimie und/oder die Geschichte von Estland und Finnland interessiert, der wird in diesem Buch viel Reizvolles finden. Mir jedoch sind die literarischen Leckerbissen aus atmosphärisch dicht beschriebenen Szenen zu wenig und sie verlieren sich in den langatmigen Wiederholungen des ewig Gleichen und in einem verworrenen Handlungsstrang.

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