Mittagsstunde – Dörte Hansen [Rezension]

Montag, Juli 22, 2019


Roman Dorfleben Liebe Einsamkeit Altes Land BuchbesprechungKurzmeinung:

Ein wundervoller, atmosphärischer Roman über das Leben auf dem Dorf, über Liebe, Einsamkeit und das Altwerden. Das alles verpackt in poetischer Sprache, gespickt mit schönen Metaphern und wohlklingenden Sätzen auf Plattdeutsch. Große Leseempfehlung, auch wenn das Buch für mich nicht ganz an das Debüt "Altes Land" heranreichen kann. Aber da liegt die Messlatte auch wirklich hoch.





Klappentext:

Die Wolken hängen schwer über der Geest, als Ingwer Feddersen, 47, in sein Heimatdorf zurückkehrt. Er hat hier noch etwas gutzumachen. Großmutter Ella ist dabei, ihren Verstand zu verlieren, Großvater Sönke hält in seinem alten Dorfkrug stur die Stellung. Er hat die besten Zeiten hinter sich, genau wie das ganze Dorf. Wann hat dieser Niedergang begonnen? In den 1970ern, als nach der Flurbereinigung erst die Hecken und dann die Vögel verschwanden? Als die großen Höfe wuchsen und die kleinen starben? Als Ingwer zum Studium nach Kiel ging und den Alten mit dem Gasthof sitzen ließ? Mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Verschwinden einer bäuerlichen Welt, von Verlust, Abschied und von einem Neubeginn.


Meine Meinung: 

Wieder ein wundervoller Roman von Dörte Hansen, auch wenn er mich nicht ganz so sehr begeistern konnte, wie ihr Debüt "Altes Land". Doch auch hier hat mir wieder die charmante Darstellung der Dorfbewohner*innen und die Idylle des Dorflebens, ohne es jedoch zu romantisieren, sehr gut gefallen. Hansen beschreibt den Wandel, den norddeutsche Dörfer in den letzten Jahrzehnten erlebt haben und die Herausforderungen, vor die es die Bauern/ Bäuerinnen und Dorfbewohner*innen gestellt hat. Sie fängt die Stimmung, das Lebensgefühl der alten nordfriesischen Dörfer sehr gut ein. Das etwas Mürrische, Ursprüngliche, Echte. Aber das Landleben wird nicht idealisiert. Es werden auch die Entbehrungen beschrieben, die damit einhergehen. Sie fängt auch die Dynamiken des Zusammenlebens und den Geist der Gemeinschaft sehr gut ein. Die Engstirnigkeit und die Vorurteile, die in der kleinen Dorfgemeinschaft herrschen. Das Getratsche, aber auch den Zusammenhalt.

Auch die poetische Sprache und die eingestreuten Sätze auf Plattdeutsch haben mir unglaublich gut gefallen. Und der norddeutsche Humor.


" >>Sind je Lungentorpedos, wat du dor smöökst.<<, sein Lachen ging in einen schweren Hustenanfall über. Er wusste offenbar, wovon er redete." (S. 79)

Bei den schönen Klängen dieser Sätze habe ich direkt Lust bekommen, mein Plattdeutsch endlich mal wieder etwas aufzufrischen und zu vertiefen.
Auch sonst hat mich die Sprache in diesem Roman absolut verzaubert. Ich habe mir viele Sätze im Buch markiert, die mich sehr berührt haben. Das Buch steckt voller schöner Metaphern und Vergleiche. Schüler*innen werden als "kleine Saatkartoffeln" bezeichnet, die "aus dem sandigen Boden gerüttelt und ins Gymnasium gesteckt werden, damit aus ihnen mal was wird." (S.21). Oder die Beschreibung von Erstsemestern, die "sich mit ihren Bücherlisten durch die Gänge [der Bibliothek] wühlten wie Frischlinge durchs Unterholz." (S.19).

Auch die Passagen über die Altenpflege und wie Ingwer seine Eltern pflegt, haben mir so manches Mal die Tränen in die Augen getrieben. So feine Beobachtungen, die Gefühle so gut eingefangen. Und dann immer der Gedanken, dass es uns allen einmal so gehen wird. Vorher selbstständige Menschen, Menschen zu denen wir aufgeschaut haben, die uns Halt gegeben haben, die nun Hilfe für die einfachsten Dinge brauchen. Die dann unseren Halt brauchen. Das man sich die Anstrengung, das Mitleid, die Traurigkeit nicht ansehen lassen darf. Das alles beschreibt Dörte Hansen so ehrlich und dabei so einfühlsam, dass es mich wirklich tief berührt hat.

Sehr interessante Gedanken stecken in diesem Roman auch über das Thema Einsamkeit und Beziehungen. Darüber, was man will im Leben. Über die Entscheidungen, die man trifft. Und vielleicht später bereut. Sie beschreibt Paare, die sich nicht mehr lieben, sich nicht mal mehr in die Augen schauen mögen. Die nur noch aus Gewohnheit oder Angst vor dem Alleinsein zusammen sind. Aber auch Paare, die schon so lange zusammen sind, dass ein Leben ohne den anderen unmöglich erscheint. Die sich die Zärtlichkeit und die Liebe bewahrt haben, auch wenn sie sich über die Jahre verändert hat.

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Fazit:

"Mittagsstunde" von Dörte Hansen ist ein wirklich guter Roman mit tollen Themen und schöner Sprache, den ich sehr gern gelesen habe. Sätze aus dem Buch haben mich noch lange begleitet und mir Stoff zum Nachdenken gegeben. Dennoch hat mich die Geschichte ingesamt nicht ganz so verzaubert, wie "Altes Land". Aber zugegeben: das ist auch wirklich eine sehr hohe Messlatte. Empfehlen kann ich euch "Mittagsstunde" allemal.


Biblio
Autorin: Dörte Hansen
Verlag: Penguin 
Seiten: 320

Das Buch wurde mir vom Penguin Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Rezension basiert ausschließlich auf meinen persönlichen Leseeindrücken und wird durch die Bereitstellung des Buches nicht beeinflusst.


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--> Der erste Roman der Autorin und ebenfalls ein absolut großartiges Buch.

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Plauderecke: 

Habt ihr das Buch schon gelesen? Wie hat es euch gefallen? Und seid ihr auch so verliebt in Plattdeutsch? Oder gibt es andere Dialekte, die euch besonders gefallen? 
Ist euch das auch schon passiert, dass ein Roman es bei euch wirklich schwer hatte, weil ihr ihn immer mit dem großartigen Vorgänger vergleichen musstet? 

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10 Kommentare

  1. Hallo,

    "Altes Land" habe ich noch nicht gelesen – Asche über mein Haupt! – aber "Mittagsstunde" habe ich sehr geliebt. Die Sprache fand ich auch wunderbar.

    Eine wunderbare Rezension, der ich nur zustimmen kann!

    LG,
    Mikka
    [ Mikka liest von A bis Z ]

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    1. Hallo Mikka,
      Wie schön, dass dir Mittagsstunde auch so gut gefallen hat. Und danke für dein Kompliment. :)
      Mit "Altes Land" hast du noch so eine wundervolle Lektüre vor dir. Wünsche dir jetzt schon ein großes Lesevergnügen und bin gespannt auf deine Meinung.
      LG, Julia

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  2. Guten morgen, auf diese Rezension habe ich gewartet und jetzt muss ich es doch lesen. Gerade so alte Landgeschichten haben immer ihren Reiz und du beschreibst es so toll. Das es nicht an 'altes Land' heranreicht habe ich mir fast gedacht, das war aber auch so wunderschön geschrieben. Platt wird hier bei uns gerade von den Älteren noch gesprochen und oft erwische ich mich dabei das ein oder andere Wort auch so auszusprechen.
    Ich wohne ja auch sehr ländlich und die Veränderungen die mit den Jahren zwangsläufig kommen sind oft genug eher traurig, trotz aller Neuerungen. Aber es hat auch immer etwas spannendes an sich, wenn die alten Menschen erzählen, ich könnte da stundenlang zuhören...naja, so ganz taufrisch bin ich ja auch nicht mehr; -)
    Lieben Dank für diese Rezension. Hab noch eine tolle Zeit

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    1. Liebe Kerstin,
      Vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Freut mich sehr, dass dir meine Rezension gefällt und dass ich dich neugierig auf Mittagsstunde machen konnte.
      Ah, ich liebe Platt. Ich finde, das klingt so charmant. Schade, dass es hier in meinem Umkreis keiner spricht. Aber sehr cool, dass du das ein oder andere aufgeschnappt hast.
      Haha, von wegen nicht mehr taufrisch. Man ist immer so alt, wie man sich fühlt, stimmt's? ;)
      Aber ja, auf jeden Fall spannend, so Veränderungen zu beobachten und zu hören, wie es früher war. Das finde ich auch. Und ich bin gespannt, was es noch so an Entwicklungen geben wird und was wir unseren Enkeln dann mal erzählen werden... Aber bis dahin können wir noch ganz viele Bücher lesen.
      LG, Julia

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  3. "Mittagsstunde" fand ich auch toll. Daher freue ich mich auch über diese Rezension. Buch wird die Tage bestellt. :)

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    1. Liebe Rike,
      Schön, dass dir das Buch "Mittagsstunde" auch so gut gefallen hat. :) Und welches Buch wirst du dir in den nächsten Tagen bestellen?
      LG, Julia

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  4. Antworten
    1. Sehr schön. Das freut mich. Und gern geschehen. :)

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  5. Hallo Julia,
    was für eine schöne Rezension zu einem wohl sehr ergreifenden Buch. Ich fand ja "Altes Land" schon mitreißen. Wird wohl Zeit auch dieses Buch von ihr zu lesen, denn als Landmädl verfolge ich mit weinendem Auge den Untergang kleiner Bauern und die Vereinsamung der Menschen.
    Vielen Dank!
    Liebe Grüße aus Wien
    Conny

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    1. Liebe Conny,
      Vielen Danke für das Lob. Ja, das Buch ist wirklich ergreifend. Und von dem, was du schreibst, wirst du dieses Buch lieben. Ich denke, dass ist genau das Richtige für dich. Ich kann es dir auf jeden Fall wärmstens empfehlen. Bin sehr gespannt, was du dann zu dem Buch sagen wirst.
      Vielen Dank für deinen Besuch und auch liebe Grüße für dich.
      Julia

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