Loyalitäten - Delphine De Vigan [Rezension]
Montag, September 17, 2018Kurzmeinung:
Delphine De Vigan schafft es auf wenigen Seiten eine große und bewegende Geschichte zu erzählen. Ohne Kitsch und Pathos schreibt sie über schwere Schicksale und erschafft Figuren, die alle ihr Päckchen zu tragen haben und in ihrem Leiden sehr authentisch sind.Klappentext:
Der 12-jährige Théo ist ein stiller, aber guter Schüler. Dennoch glaubt seine Lehrerin Hélène besorgniserregende Veränderungen an ihm festzustellen. Doch keiner will das hören. Théos Eltern sind geschieden und mit sich selbst beschäftigt. Der Junge funktioniert und kümmert sich um die unglückliche Mutter und den vereinsamten Vater. In ihren Augen ist also so weit alles gut. Doch Théo trinkt heimlich, und nur sein Freund Mathis weiß davon. Der Alkohol wärmt und schützt ihn vor der Welt. Eines Tages wird ihn der Alkohol ganz aufsaugen, das weiß Théo. Doch wer sollte ihm helfen? Hélène, seine Lehrerin, würde es tun, doch wie soll das gehen, ohne dass er die Eltern verrät? Mathis beobachtet das alles voller Angst. Zu gerne würde er sich seiner Mutter anvertrauen, aber Théo ist sein einziger Freund. Und einen Freund verrät man nicht. Außerdem würde er damit auch seinem großen Bruder in den Rücken fallen, denn der besorgt den Alkohol für die Minderjährigen. Und er ist es auch, der das gefährliche Spiel in dem schneebedeckten Park vorschlägt, bei dem Théo bewusst den eigenen Tod in Kauf nimmt.Meine Meinung:
Der Roman beschäftigt sich in den Kapiteln abwechselnd mit 3 Personen.
Zunächst ist da Théo, der zu Beginn des Romans fast 13 ist
und sich immer weiter in sich zurückzieht, bis er sich schließlich in den
Alkohol flüchtet.
Delphine De Vigan liefert eine erschreckende, aber sehr
realistische Beschreibung dessen, was mit einem Kind passieren kann, wenn sich
die Eltern auf unschöne Weise trennen. Das zwischen den Stühlen Stehen. Es
beiden recht machen zu wollen. Das kommt sehr gut rüber. Außerdem muss Théo viel zu viel Verantwortung übernehmen für sein Alter. Beide Eltern sind nicht
für ihn da, kümmern sich nicht um ihn. Sind zu beschäftigt mit sich selbst. Im
Gegenteil muss Théo sich um sie kümmern, will ihnen alles recht machen. Das alles wird sehr eindrücklich
beschrieben. Mehrmals wollte ich die Eltern am liebsten schütteln und
anschreien, was sie ihrem Kind da antuen. Wie sie sein stummes Leiden nicht
wahrnehmen können. Wollte Théo am liebsten in den Arm nehmen.
Außerdem gibt es Hélène. Die Lehrerin hat in ihrer Kindheit
Missbrauchserfahrungen gemacht und ist deswegen besonders wachsam und
empfänglich für Anzeichen. Sie ist sehr besorgt um Théo, was schließlich fast
schon zur Besessenheit wird. Mehrmals überschreitet sie Grenzen, überwacht zum
Beispiel Théos Elternhaus. Sie hat ihre Missbrauchserfahrungen noch nicht
verarbeitet und wird durch Théo gewissermaßen retraumatisiert. Alte,
schmerzhafte Erinnerungen kommen wieder hoch und sie kann ihre Sorge um Théo schlecht von ihren Erinnerungen abgrenzen. Den Beschützerinstinkt, den sie Théo gegenüber hat, konnte ich als Leserin aber sehr gut nachvollziehen.
Eine weitere Figur ist Cécile, die Mutter von Théos bestem
Freund Mathis. Cécile hatte selbst auch keine einfache Kindheit. Sie macht sich
Sorgen um ihren Sohn und den vermeintlichen schlechten Einfluss, den Théo auf
ihn hat. Außerdem sieht sie sich plötzlich mit einer schrecklichen Dunklen
Seite ihres Mannes konfrontiert. Sie macht in dem Buch eine sehr spannende Entwicklung durch und war für mich ein sehr interessanter Charakter, den ich gern verfolgt habe.
Jede der Figuren in der Geschichte leidet, hat ihr Päckchen
zu tragen. Bei einem 13-jährigen Junge ist es aber natürlich besonders schwer
zu ertragen.
De Vigan erzählt von großem Leid, allerdings in einem eher
nüchternen Ton. Sie dramatisiert nicht, schreibt ohne übertriebene
Rührseligkeit oder Pathos. Das hat mir gut gefallen und die Schicksale für mich
eigentlich noch umso eindrücklicher werden lassen. Die Autorin konfrontiert den Lesenden mit Fragen der Moral. Ist es vertretbar, aus den richtigen Gründen etwas Falsches zu tun? Zum Beispiel Hélène, die aus Sorge um ihren Schülern die Grenzen ihrer Befugnisse überschreitet. Oder Cécile, die aus Sorge um ihren eigenen Sohn die Augen vor dem Leid des jungen Théo verschließt.
Dabei stellt sich dem Lesenden unweigerlich die Frage, was man selbst in dieser Situation tun würde. Dabei gelingt es De Vigan jedoch, ohne erhobenen Zeigefinger zu schreiben sondern wirklich nur unvoreingenommen die Fragen aufzuwerfen und die Situationen ohne Wertung darzustellen.
Sehr gut gefallen hat mir auch, wie sich die Geschichte langsam aufgebaut hat. Schon von Anfang an hatte ich beim Lesen ein unangenehmes Gefühl. Diese dunkle Vorahnung hat sich immer weiter verstärkt, je weiter die Geschichte fortgeschritten ist. Wie in einer Abwärtsspirale werden die Geschehnisse immer dramatischer, spitzen sich immer weiter zu, bis sie schließlich in ihrem dunklen Tiefpunkt münden. Dabei braucht De Vigan nur wenige Seiten, um diesen großen Spannungsbogen aufzubauen und die Ereignisse eskalieren zu lassen. Dennoch wirkt nichts davon überstürzt oder gehetzt.
Dabei stellt sich dem Lesenden unweigerlich die Frage, was man selbst in dieser Situation tun würde. Dabei gelingt es De Vigan jedoch, ohne erhobenen Zeigefinger zu schreiben sondern wirklich nur unvoreingenommen die Fragen aufzuwerfen und die Situationen ohne Wertung darzustellen.
Sehr gut gefallen hat mir auch, wie sich die Geschichte langsam aufgebaut hat. Schon von Anfang an hatte ich beim Lesen ein unangenehmes Gefühl. Diese dunkle Vorahnung hat sich immer weiter verstärkt, je weiter die Geschichte fortgeschritten ist. Wie in einer Abwärtsspirale werden die Geschehnisse immer dramatischer, spitzen sich immer weiter zu, bis sie schließlich in ihrem dunklen Tiefpunkt münden. Dabei braucht De Vigan nur wenige Seiten, um diesen großen Spannungsbogen aufzubauen und die Ereignisse eskalieren zu lassen. Dennoch wirkt nichts davon überstürzt oder gehetzt.
Fazit:
In diesem Buch steckt noch so viel mehr, als der Klappentext vermuten lässt. Auf wenigen Seiten erzählt Delphin de Vigan eine große und bewegende Geschichte.Biblio
Verlag: DuMont
Übersetzung: Doris Heinemann
Seiten: 176
Das Buch wurde mir vom DuMont Verlag und Vorablesen kostenlos als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Rezension basiert ausschließlich auf meinen persönlichen Leseeindrücken und wird durch die Bereitstellung des Buches nicht beeinflusst.
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Dann schlaf auch du – Leila Slimani--> Dieses Buch hat mich vom Stil und von der Stimmung irgendwie an "Loyalitäten erinnert"
Was ich euch nicht erzählte – Celeste Ng
--> Auch hier dreht sich die Geschichte um ein Kind, dessen Leid von ihren Eltern nicht wahrgenommen wird.
Ich fühle was, was du nicht fühlst – Amelie Fried
--> Dieser Roman dreht sich auch um das Thema Familie und um Eltern, die nicht in dem Maße für ihre Kinder da sein können, in dem sie es bräuchten.
2 Kommentare
Liebe Julia,
AntwortenLöschenbin ja eindeutig Team kurzes Buch!
Liegt wohl an meiner Liebe für Hemingway. ;)
Nein, hauptsächlich an einem Linguistikprofessor von mir, der meinte: Man hat einen Stoff nicht richtig durchdrungen, wenn man ihn nicht kurz und verständlich beschreiben kann.
Schwafeln kann jeder :D
Viele Grüße
Mareike
Haha, oh ja, das kann ich mir vorstellen, dass einen solche Worte vom Professor dann lange begleiten und beeinflussen. Klingt ja auch irgendwie vernünftig. Aber wenn ich eine Geschichte und ihre Charaktere sehr mag, dann finde ich es auch total toll, wenn ich ein gaaanz dickes Buch über sie habe und sie möglichst lange begleiten und viel über sie erfahren kann. Bin also eher Team beides. ;D
LöschenLiebe Grüße, Julia
Ich liebe den Austausch mit meinen Leser*innen und freue mich über jeden Kommentar.
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