Befreit – Tara Westover [Rezension]
Donnerstag, Dezember 13, 2018Befreit –Wie Bildung mir die Welt erschloss
Kurzmeinung:
Ein Buch, das mich aus verschiedenen Gründen beim Lesen unglaublich wütend gemacht hat. Insgesamt habe ich mit diesem Buch eine emotionale Berg- und Talfahrt erlebt –von Trauer und Wut bis Freude und Stolz war alles dabei. Taras Geschichte hat mich von der ersten Seite an gefesselt und obwohl es mich emotional so mitgenommen hat, konnte ich doch keine Pause einlegen, weil ich einfach immer wissen musste, wie es mit ihr und ihrer Familie weitergeht.Eine Geschichte, die schockiert, die ans Herz geht, die einem beim Lesen viel abverlangt, die aber irgendwie auch Mut macht.
Klappentext:
Von den Bergen Idahos nach Cambridge – der unwahrscheinliche »Bildungsweg« der Tara Westover.Tara Westover ist 17 Jahre alt, als sie zum ersten Mal eine Schulklasse betritt. Zehn Jahre später kann sie eine beeindruckende akademische Laufbahn vorweisen. Aufgewachsen im ländlichen Amerika, befreit sie sich aus einer ärmlichen, archaischen und von Paranoia und Gewalt geprägten Welt durch – Bildung, durch die Aneignung von Wissen, das ihr so lange vorenthalten worden war. Die Berge Idahos sind Taras Heimat, sie lebt als Kind im Einklang mit der grandiosen Natur, mit dem Wechsel der Jahreszeiten – und mit den Gesetzen, die ihr Vater aufstellt. Er ist ein fundamentalistischer Mormone, vom baldigen Ende der Welt überzeugt und voller Misstrauen gegenüber dem Staat, von dem er sich verfolgt sieht. Tara und ihre Geschwister gehen nicht zur Schule, sie haben keine Geburtsurkunden, und ein Arzt wird selbst bei fürchterlichsten Verletzungen nicht gerufen. Und die kommen häufig vor, denn die Kinder müssen bei der schweren Arbeit auf Vaters Schrottplatz helfen, um über die Runden zu kommen. Taras Mutter, die einzige Hebamme in der Gegend, heilt die Wunden mit ihren Kräutern. Nichts ist dieser Welt ferner als Bildung. Und doch findet Tara die Kraft, sich auf die Aufnahmeprüfung fürs College vorzubereiten, auch wenn sie quasi bei null anfangen muss … Wie Tara Westover sich aus dieser Welt befreit, überhaupt erst einmal ein Bewusstsein von sich selbst entwickelt, um den schmerzhaften Abnabelungsprozess von ihrer Familie bewältigen zu können, das beschreibt sie in diesem ergreifenden und wunderbar poetischen Buch.
Meine Meinung:
Dieses Buch hat mich aus verschiedenen Gründen beim Lesen unglaublich wütend gemacht hat. Einerseits hat mich Taras Familie so wütend gemacht. Da ist ihr Vater, der ihr Bildung verweigert und ein Weltbild aufzwingt, welches geprägt ist von Verschwörungstheorien und Verfolgungswahn. Ein Vater, der ihr vermittelt, dass sie niemandem trauen kann und alle anderen Menschen ihre Feinde sind. Ein Vater, der, obwohl er sie nicht aktiv misshandelt, sie so großen Gefahren aussetzt, dass es schon Kindeswohlgefährdung darstellt. Von Klein auf muss Tara auf dem Schrottplatz der Familie mitarbeiten, schwere körperliche Arbeit leisten und sich immer wieder in Gefahr bringen.Dann ist da noch ihre Mutter, die ihr kein weibliches Vorbild ist, sondern sich immer den Wünschen des dominanten Vaters beugt; die nie für ihre Tochter einsteht. Eine Mutter, die selbst bei schwersten Verletzungen nicht der Schulmedizin vertraut und dadurch mehrmals das Leben ihrer Kinder gefährdet.
Und dann ist da noch Taras älterer Bruder Shawn, der mich am wütendsten gemacht hat. Er misshandelt seine kleine Schwester sowohl psychisch als auch körperlich. Trichtert ihr immer wieder ein, dass sie nichts wert sei, eine Hure sei. Unvorstellbar, was das mit der Psyche eines jungen, heranwachsenden Mädchens macht. Und umso erstaunlicher, dass Tara Westover es dennoch geschafft hat, sich davon zu befreien.
Auf der anderen Seite war ich aber teilweise auch wütend über Tara. Kaum hat sie einige kleine Fortschritte gemacht und sich etwas von ihrer Familie und deren manipulativem, fanatischem Weltbild gelöst, macht sie wieder tausend Schritte zurück und begibt sich wieder in den Einflussbereich ihres Vaters, lässt sich in alte Gedanken- und Verhaltensmuster zurückziehen und sich von ihrem Bruder misshandeln. Natürlich ist meine Wut auf sie überhaupt nicht gerechtfertigt. Wie unglaublich schwierig muss es sein, sich von so einer Gedankenwelt zu distanzieren, die dir Jahrelang als die einzig Wahre eingeprägt wurde –fast schon mit Methoden von Indoktrination. Und trotzdem habe ich es beim Lesen eben manchmal so empfunden, weil Tara mir einfach so leid tat und ich es nur schwer ertragen konnte, sie wieder in dieses Umfeld des Missbrauchs zurückkehren zu sehen, nachdem sie doch gerade erst zarte Fortschritte gemacht hatte.
Aber genau das ist eben auch die große Stärke des Buches. Das der/die Leser*in tatsächlich mitverfolgen kann, wie unglaublich schwer der Prozess des Loslösend von der eigenen Familie ist und von den Werten und dem Weltbild, mit dem man aufgewachsen ist. Diese innere Zerrissenheit, der innere Kampf von Tara wurde sehr deutlich.
"Es ist merkwürdig, wie viel Macht über dich du den Menschen gibst, die du liebst." (Aus Befreit, S. 278)
Der Teil, in dem die Bildung ihr dann tatsächlich die Welt erschlossen hat, hat dann gar nicht mehr so großen Raum in der Geschichte eingenommen, war aber trotzdem sehr interessant. Und der Weg, den sie (trotz oder wegen) ihrer Kindheit und den widrigen Umständen, unter denen sie aufgewachsen ist, geht, ist sehr beeindruckend.
"Die Fertigkeit, die ich mir aneignete, was wesentlich: die Geduld, Dinge zu lesen, die ich noch nicht verstand." (Aus Befreit, S. 98)
Fazit:
Insgesamt habe ich mit diesem Buch eine emotionale Berg- und Talfahrt erlebt –von Trauer und Wut bis Freude und Stolz war alles dabei. Taras Geschichte hat mich von der ersten Seite an gefesselt und obwohl es mich emotional so mitgenommen hat, konnte ich doch keine Pause einlegen, weil ich einfach immer wissen musste, wie es mit ihr und ihrer Familie weitergeht.Ich könnte noch ewig weiter über dieses Buch schreiben. So sehr hat mich das Buch bewegt, so sehr haben mich die Themen erschüttert und Gedanken nicht mehr losgelassen. Aber das würde hier glaube ich den Rahmen sprengen und deswegen sage ich lieber: lest dieses Buch am besten einfach selbst. Und falls ihr danach auch so großen Redebedarf habt, wie ich, dann schreibt mir hier gerne einen Kommentar oder schreibt mir Nachrichten bei Twitter oder Instagram.
Biblio
Verlag: KiWi
Original Titel: Educated
Übersetzung: Eike Schönfeld
Seiten: 448
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Plauderecke:
Habt ihr das Buch schon gelesen? Wie hat es euch gefallen? Hat euch die Geschichte auch so mitgenommen, wie mich?Lest ihr ab und zu gern mal Non-Fiction und Biografien, oder bleibt ihr lieber bei fiktionalen Geschichten?
6 Kommentare
Liebe Julia
AntwortenLöschenDas Buch liegt auch schon länger bei mir auf dem SuB und morgen Abend möchte ich es dann definitiv endlich einmal zur Hand nehmen. Deine Besprechung hat mich sehr neugierig gemacht, vielen herzlichen Dank für die detaillierte Beleuchtung der unterschiedlichen Aspekte dieses Buches.
Alles Liebe dir
Livia
Liebe Livia,
LöschenDas freut mich sehr, dass ich dich neugierig machen konnte. Und es ist wirklich eine sehr gute Entscheidung von dir, das Buch nicht länger auf dem SuB versauern zu lassen.
Ich wünsche dir eine interessante und bewegende Lektüre. Melde dich danach gern wieder. Ich bin sehr gespannt, wie dir das Buch gefällt. Und ob du danach auch so großen Redebedarf verspürst, wie ich.
Liebe Grüße und ein schönes Rest-Wochenende,
Julia
Hi Julia,
AntwortenLöscheneine schöne Rezension zu einem interessanten Buch! Seit es erschienen ist, habe ich es immer wieder irgendwo gesehen und hab schon geahnt, dass es was für mich wäre. Deine Rezension bestätigt meine Vermutung und ich hoffe, dass ich nächstes Jahr auch dazu komme, es zu lesen.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende :)
Anka
Liebe Anka,
LöschenVielen Dank, das freut mich. :) Ich hoffe sehr, dass du es bald lesen kannst und das es dir gefällt.
Dir auch liebe Grüße und ein schönes Wochenende.
Julia
Hallo Julia,
AntwortenLöschenich stöbere gerade ein bisschen bei dir und stelle fest, dass wir eine schöne Schnittmenge an Büchern haben!
Auch ich habe dieses Buch gelesen und es hat mich sehr berührt. Es ist so furchtbar, wenn die eigene Familie dein schlimmster Feind ist und dies noch nicht einmal einsieht. Gerade von der Mutter war ich sehr enttäuscht. Dass sie, anstatt zu ihrer seelisch und körperlich verletzten Tochter zu halten, den Ehemann bevorzugt, kann ich als zweifache Töchter-Mutter gar nicht nachvollziehen.
Meine Rezi findest du HIER. :-)
GlG, monerl
Liebe Monerl,
LöschenAch schön, dass wir anscheinend einen ähnlichen Buchgeschmack haben. Bin neugierig, was ich bei dir so finden werde. :)
Ja, mich hat Taras Geschichte auch wirklich erschüttert. Ganz ehrlich, ich konnte das Handeln keine der Personen nachvollziehen. Deswegen kann ich gar nicht sagen, von wem ich am enttäuschtesten war. Ich musste einfach nur die ganze Zeit mit dem Kopf schütteln und konnte überhaupt nich nachvollziehen, wie man so etwas seinem Kind/ seiner Schwester antun kann. Ein Buch, dass einen beim Lesen wirklich fordert, findest du nicht?
Liebe Grüße, Julia
Ich liebe den Austausch mit meinen Leser*innen und freue mich über jeden Kommentar.
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