Das Ting - Artur Dziuk [Rezension]

Sonntag, Oktober 20, 2019


Dystopie Technik Start-up Roman bold Buchempfehlung Buchkritik Kurzmeinung:

Die Geschichte war überhaupt nicht so, wie ich erwartet hatte, konnte mich auch im Großen und Ganzen trotzdem überzeugen und auf jeden Fall gut unterhalten.


Klappentext:

Vier junge Visionäre gründen in Berlin ein Start-up und entwickeln zusammen eine App: das Ting, das körperbezogene Daten seiner Nutzer sammelt, auswertet und auf dieser Grundlage Handlungs- und Entscheidungsempfehlungen gibt.
Das Prinzip Ting überzeugt – die App schlägt ein wie eine Bombe. Getrieben vom Erfolg entwickelt Mitgründer Linus die Möglichkeiten immer weiter, sein eigenes Leben und das der User mithilfe des Ting zu optimieren. Doch um neue Investoren für die Firma zu gewinnen, sind er und sein Team bald gezwungen, sich auf ein gefährliches Spiel einzulassen: Sie verpflichten sich vertraglich, künftig unter allen Umständen jeder Empfehlung des Ting zu gehorchen ...


Meine Meinung:

Also zu allererst muss ich sagen, dass der Klappentext bei mir völlig falsche Erwartungen an die Geschichte geweckt hat. Es klingt viel mehr nach Dystopie, nach "Black Mirror", als würde die technische Komponente eine viel größere Rolle spielen. Bei dem "gefährlichen Spiel" habe ich sofort an actiongeladene Szene wie in "Nerve" gedacht. Doch all das bekommt man in dem Buch nicht. Der Fokus liegt auf der Entwicklung der vier Protagonisten. Die Aspekte des Ting sind viel mehr gesellschaftsphilosophisches Gedankenexperiment als düstere Dystopie. 
Das Buch und ich hatten dementsprechend auch ein paar Startschwierigkeiten. Das erste Kapitel über Linus hat es mir nicht so leicht gemacht, in die Geschichte hineinzufinden. Ich fand ich die Charaktere und ihre Reaktionen zu unglaubwürdig und den Einstieg insgesamt etwas zäh und langatmig.

Doch nach und nach bin ich mehr in die Geschichte reingekommen. Die Charaktere Linus und Adam fand ich beide ziemlich unsympathisch, aber Adam als Protagonisten immerhin etwas glaubwürdiger als Linus. Man erfährt mehr über seinen Background und dadurch wird er für mich fassbarer und bleibt nicht so blass wie Linus. Der Charakter von Niu gefiel mir am besten. Ihre Figur war die interessanteste und ihre Abschnitte habe ich am liebsten gelesen.
Auch Kasper ist ein spannenderer Charakter. Die Emanzipation von seiner Familie beginnt ziemlich schnell, ist dabei aber nicht unglaubwürdig. Das Übergangenwerden beim Geschäftsführerposten, die Enttäuschung. Natürlich ist das Zusammentreffen mit den drei anderen Protagonisten und wie sie schließlich das gemeinsame Start-up gründen etwas konstruiert, aber es lässt sich gut lesen und hat mich deswegen nicht groß gestört.
Die Figuren waren mir aber um ehrlich zu sein alle etwas zu eindimensional. Sie wirkten eher stereotyp und es wirkte für mich relativ offensichtlich, dass sie bestimmte Rollen erfüllen mussten, damit die Geschichte so funktioniert. Allerdings hat mich die Story dann auch wirklich gut unterhalten. Nur sehr authentisch hat sich das alles eben nicht angefühlt.  

Die Idee des Ting fand ich ziemlich interessant. Ein Gerät, welches Körper- und Umgebungsdaten auswertet und Handlungsempfehlungen gibt. Die Abgabe von Verantwortung, aber auch Kontrolle. Die Empfehlungen des Ting hatten für mich auch einen bitteren Beigeschmack. Sie können vielleicht Körper- und Umgebungsdaten auswerten, aber an welchen Sollwerten werden sie verglichen? Was weiß es von Freundschaft, Loyalität, Moral und Liebe? Nicht nur als Ausschüttung der entsprechenden Hormone, sondern als wichtige Komponente im menschlichen Miteinander? Auch die gesellschaftsphilosophischen Fragen, die diskutiert wurden, fand ich sehr spannend. Gibt der einzelne nun die Verantwortung an das Ting ab, oder wird das gesellschaftlich-politische System aus der Verantwortung entlassen? Bringt uns der Wunsch nach Selbstoptimierung dazu, das Eingehen von Risiken und die Bereitschaft, auch mal einen Fehler zu machen um jeden Preis zu vermeiden? Wo doch Fehler zum Menschsein dazugehört. Alles wirklich interessante Aspekte, über die es sich nachzudenken lohnt, finde ich. Auch wenn man bedenkt, in welche Richtung sich die Ideologie und Technologie ja heute schon entwickelt. Dziuk spricht damit auf jeden Fall interessante Themen unserer Zeit an. 


"Es ist an ihm, ihnen vor Augen zu führen, was das Ting auch ist: ein undurchschaubarer Herrscher, der in einem Sever-Bunker sitzt, unerreichbar für jeden Versuch des Dialogs. Ein Diktator, der nach der Maxime der modernen Leistungsgesellschaft operiert." (Das Ting, S. 257) 

Das Buch hat mich da richtig in seinen Bann gezogen und ich konnte kaum aufhören zu lesen.

Die Geschichte hat sich anders entwickelt, als ich es erwartet hatte, aber sie hat mir dennoch gefallen. Ich hatte mir mehr große, nervenaufreibende Entscheidungen vom Ting vorgestellt. So ein bisschen im Stil von "Nerve", was die User wirklich an den Rand des Machbaren treibt. Die großen Actionszenen blieben zwar aus, aber die vielen kleinen, manchmal fast banal wirkenden Entscheidungen haben schnell etwas Bedrohliches entwickelt und mit Unbehagen habe ich mich gefragt, zu welchen fatalen Folgen die vielen kleinen Entscheidungen in letzter Konsequenz führen könnten. Und das fühlte sich irgendwie noch bedrohlicher an, als die großen aktionsgeladenen Entscheidungen.

Insgesamt hätte ich mir mehr "Auftritte" vom Ting gewünscht und dachte, diese besondere Technologie würde von Anfang an mehr Raum in der Geschichte einnehmen. Doch sie taucht erst später in der Geschichte auf, gibt dann ein paar Empfehlungen, nur um später wieder unsichtbar zu werden. 

Dystopie Technik Start-up Roman bold Buchempfehlung Buchkritik


Fazit:

Artur Dziuk hat in Das Ting andere Schwerpunkte gesetzt und die Geschichte anders erzählt, als ich es nach dem Klappentext erwartet hatte. Die Charaktere konnten mich nicht ganz überzeugen, aber die Geschichte hat mich gefesselt und mich gut unterhalten. Und auch die Fragen, die die Geschichte um das Ting aufgeworfen hat, fand ich spannend und sie liefern definitiv Stoff zum Nachdenken. Das Ting ist eher gesellschaftsphilosophisches Gedankenexperiment als düstere Dystopie. Wenn man sich darauf einstellt, kann man spannende Lesestunden mit dem Buch verbringen. 



Biblio
Titel: Das Ting 
Autor: Artur Dziuk 
Verlag: bold 
Seiten: 464

Das Buch wurde mir vom Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Rezension basiert ausschließlich auf meinen persönlichen Leseeindrücken und wird durch die Bereitstellung des Buches nicht beeinflusst.



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Plauderecke: 

Habt ihr das Buch schon gelesen? Wie hat es euch gefallen? Und was haltet ihr von Dystopien und Büchern über zukünftige Technologien? Steht ihr Datensammel-Apps kritisch gegenüber, oder überwiegen die Vorteile für euch? Bin gespannt auf eure Meinung. 

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2 Kommentare

  1. Hey Julia,

    eine tolle Rezension zum Buch. Gesellschaftsphilosophisch finde ich ein tolles Wort. Das ist vielleicht auch der Grund, warum ich nicht wirklich ins Buch rein gekommen bin. Die Idee vom Ting und die Entwicklung fand ich interessant, der Rest war mir zu ausführlich beschrieben.
    Meine Rezension werde ich Ende Juni veröffentlichen. Ich habe dich bei mir verlinkt.

    LG, Moni

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    1. Liebe Moni,
      Oh, vielen Dank für die Verlinkung. Dann bin ich mal sehr gespannt auf deine Rezension. Finde es ja immer spannend, wie unterschiedlich verschiedene Leser*innen ein und das selbe Buch wahrnehmen können –oder aber auch, wie ähnlich sich manche Meinungen sind. :)
      Schade, dass du nicht so gut in die Geschichte hineingefunden hast. Aber wie gesagt: bei mir hat der Klappentext auch ganz falsche Erwartungen geweckt. Kann also durchaus nachvollziehen, dass es einem so geht. Ich hoffe, du warst trotzdem nicht zu enttäuscht.
      Liebe Grüße
      Julia

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