Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein– Benjamin Maack [Rezension]

Donnerstag, Juli 09, 2020

Depression mental health psychische Krankheit Therapie Psychiatrie Selbstmord Suizid Kurzmeinung:

Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein von Benjamin Maack ist eine intensive, teilweise beklemmende Lektüre, in der der Autor seine Erfahrungen mit schweren Depressionen, Selbstmordgedanken und die Behandlung während diverser Klinikaufenthalten schildert.

CN: Depressionen, Selbstmordgedanken

Klappentext:

»Bin ich jetzt ein Leben müde?«, fragt Benjamin Maack, als er mit seinem großen, schwarzen Rollkoffer vor der Psychiatrie steht. Vier Jahre zuvor hatte er sich schon einmal eingewiesen, nach einem Nervenzusammenbruch – die Diagnose: Depression. Jetzt ist er wieder hier und berichtet von den letzten Nächten, die er nicht mehr im Ehebett, sondern auf dem Sofa verbringt, schlaflos, nervös, in Panik. Und dem Alltag in der Klinik, wie er mit den Mitpatienten »Alarm für Cobra 11« schaut oder im großen Aufenthaltsraum Delfine im Mondlicht puzzelt. Wie ihm statt Frau und Kindern die Pfleger zum 40. Geburtstag gratulieren und wie er in der Kreativwerkstatt lernt, zu sticken. Er erzählt von Medikamenten, ihren Nebenwirkungen, von Selbstmordgedanken und jenem Abend, an dem auch starke Beruhigungsmittel nicht mehr helfen und er auf »die Geschlossene hinter der Geschlossenen« verlegt wird – ständig schwankend zwischen Hoffnung und tiefer Verzweiflung.

Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein ist ein entwaffnend ehrliches Zeugnis vom Leben mit Depressionen. Benjamin Maack ringt der unbarmherzigen Krankheit tragikomische Momente ab und erzählt von ihr in so berührenden wie klaren Bildern. Seine Geschichte ist aber nicht nur Psychiatrie- und Krankenbericht, sondern auch Familiendrama und die Erzählung eines persönlichen Schicksals. Ein schonungsloses, literarisch kraftvolles Buch.


Meine Meinung:

In diesem Buch "Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein" berichtet der Autor Benjamin Maack von seinem Leben mit schweren Depressionen und deren Behandlung in der Psychiatrie. Er berichtet von Selbstmordgedanken, von großer Verzweiflung, von Selbsthass und absoluter Leere. Das ist sehr bewegend, sehr eindrücklich und teilweise nur schwer zu ertragen. Es hat mir diese Krankheit aus Patientensicht noch einmal viel näher gebracht und einen Eindruck vermittelt, wie es Lehrbücher nicht können.
Maack schildert seine persönlichen Eindrücke, teilweise in ausführlichen erzählenden Passagen, teils in Gedichten, teils nur in Gedankenfetzen oder mehreren Seiten, auf denen nur "funktionieren" steht. 
Diese Form finde ich perfekt gewählt, um nicht nur durch die Erzählungen an sich, sondern auch durch Gestaltung und Schreibstil ein Gefühl für die Krankheit zu vermitteln. Die teilweise zusammenhangslosen Satzfetzen, die Gedankenabbrüche mitten im Satz. Das macht es nicht unbedingt leicht zu lesen, vermittelt aber ein gutes Bild von den Symptomen einer Depression, wie ich es auch bei Patienten erlebe.

Dieses Buch bietet keine zusammenhängende Geschichte mit interessanten Charakteren und klassischem Spannungsbogen oder Plot. Wer so etwas erwartet, wird enttäuscht werden. Dafür gewährt einem Benjamin Maack sehr persönliche und bewegende, echte Eindrücke aus seinem Krankheits- und Genesungsprozess.

Teilweise ist dieses Buch durch die Form etwas schwerer zu lesen, als ein auf Storytelling ausgelegter Roman. Dafür sind diese Episoden und Eindrücke aber wirklich interessant und gerade der außergewöhnliche Stil macht es zu einem besonderen Leseerlebnis. Maack lässt einen ganz nah ran, nicht an die schöne Hollywood Depression, sondern an die echten Gefühle bzw. die Leere. 

Maack berichtet von seinem Leben mit Depressionen und den Auswirkungen auf sein Berufsleben, sein Familienleben, seine Hobbys und Freundschaften. Er erzählt von verschiedenen Therapieformen, verschiedenen Medikamenten. Von Fortschritten und immer wieder auch von Rückfällen und schweren Krisen. Er gewährt Einblicke in Gedanken voller Selbsthass und Selbstzerstörungswut. Auch seine Selbstmordphantasien werden ausführlich und eindrücklich geschildert. Hier möchte ich eine Warnung aussprechen, dass dies teilweise schwer auszuhalten ist und eigene Gedanken triggern kann. Ich empfehle, genau zu überlegen, ob ihr in der Verfassung seid, so ein Buch zu lesen.

Das Buch erzählt aber nicht nur von Trauer, Leere und Verzweiflung, sondern auch immer wieder von Hoffnung und enthält auch viele tragikomische Elemente. Teilweise musste ich schmunzeln, wenn zB der Autor beschreibt, wie er mit den Mitpatienten an einem besonders schwierigen Puzzle mit einem Delfinmotiv sitzt. „Die Delfine machen alles schwieriger. Wir sitzen um das Puzzle mit all seinen weichgezeichneten Lila- und Blautönen, die Köpfe gesenkt, die Augen verkniffen, erstaunt, wie schwer das ist und irgendwer sagt -Delfintherapie“ (Aus "Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein", S.132).
 
Depression mental health psychische Krankheit Therapie Psychiatrie Selbstmord Suizid

Fazit:

Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein von Benjamin Maack ist eine intensive, bewegende Lektüre, die Einblicke in das Leben mit schweren, wiederkehrenden Depressionen und deren Behandlung gibt. Der ganz besondere Stil des Buches lässt einen tief eintauchen und macht dieses Buch zu einem einzigartigen Leseerlebnis. Dennoch ist das Buch nicht für jede*n geeignet, da es sehr explizit Selbstmordgedanken darstellt. 
Wer sich stabil genug für die Lektüre fühlt und die Krankheit Depression besser verstehen lernen möchte, dem sei dieses Buch sehr ans Herz gelegt. 


Biblio
Titel: Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein
Autor: Benjamin Maack
Verlag: Suhrkamp Nova
Seiten: 333

Das Buch wurde mir vom Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Rezension basiert ausschließlich auf meinen persönlichen Leseeindrücken und wird durch die Bereitstellung des Buches nicht beeinflusst. 



Weitere Bücher zum Thema Depression und mental health:

Die beste Depression der Welt – Helene Bockhorst 
--> Der Versuch einer humorvollen Auseinandersetzung mit dem Thema Depression. Nicht ganz so gelungen, wie ich finde.

Veronika beschließt zu sterben – Paulo Coelho 
--> Der Klassiker unter den Büchern zum Thema mental health. Sehr lesenswert mit vielen wunderschönen Zitaten. Allerdings auch eine vereinfachte, poetisierte Darstellung, welche psychischer Krisen in ein Storytelling-Korsett zwingt.

Marianengraben – Jasmin Schreiber 
--> Ebenfalls ein Buch, welches sich unter anderem dem Thema Depression widmet, auch auf eine humorvolle Art und Weise. Auch keine uneingeschränkte Empfehlung von mir, aber durchaus unterhaltsam.

Jägerin und Sammlerin – Lana Lux 
--> In diesem Roman kämpft die Protagonistin mit einer Esstörung und mit ihrer Vergangenheit. Mit ihrer perfektionistischen, unnahbaren Mutter und einer Migrationsgeschichte. 



Plauderecke: 

Kennt ihr das Buch schon? Habt ihr es schon gelesen? Oder konnte ich euch neugierig auf die Geschichte machen? 
Welche Bücher zum Thema Depressionen oder mental health kennt ihr und könnt ihr empfehlen? 

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2 Kommentare

  1. Hallo Julia,

    "Wer sich stabil genug für die Lektüre fühlt ..." das ging mir beim Lesen Deiner Rezension auch durch den Kopf. Das Thema interessiert mich schon aus meiner persönlichen Geschichte heraus. Und ich habe auch festgestellt, dass es mir gut tut, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, denn dabei stellt man fest, dass man mit seinem persönlichen Elend nicht alleine dasteht, sondern es vielen Menschen so geht, dass die als Merkwürdigkeiten empfundenen Symptome oft ganz typisch sind. Deshalb bin ich überzeugt, dass mir das Buch viel bringen wird.
    Aber es wird mich auch an Zeiten erinnern, die ich lieber nicht wieder aufleben lassen möchte.
    Ich denke, ich werde es auf meine Leseliste setzen und es irgendwann lesen, wenn ich in dem Moment das Gefühl habe, dass es passt.
    Vielen Dank für Deine tolle Einschätzung.
    LG Gabi

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    1. Liebe Gabi,
      Ja, ich kann mir vorstellen, dass es für Betroffene entlastend ist, von den Erfahrungen anderer zu lesen und zu wissen, dass man nicht alleine damit ist. Andererseits kann ich auch deine Bedenken verstehen, dass es triggern könnte. Daher habe ich oben auch die Triggerwarnungen platziert.
      Vielen lieben Dank für dein Feedback. Das freut mich wirklich sehr. Und ich bin gespannt, was du zu dem Buch sagen wirst, wenn dein Zeitpunkt zum Lesen gekommen ist.
      Ganz liebe Grüße und ein schönes Wochenende schon mal (jetzt ist es ja nicht mehr lang hin ;D)
      Julia

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