Das weiße Schloss - Christian Dittloff [Rezension]

Sonntag, Dezember 16, 2018

Dystopie Familie Elternschaft Kinder Kinderwunsch Beziehung Liebe"Die Großmütter hatten für das Jenseits gelebt. Die Mutter für ein Leben nach der Rente. Und Ada wollte in der Gegenwart leben." (Aus "Das weiße Schloss", S. 29)

–ein Buch über Elternschaft, über Beziehungen, über Hedonismus und darüber, was einem im Leben wichtig ist. 


Klappentext:

Eltern? Das sind die anderen.
Sie sind ein glückliches Paar. Ada und Yves haben sich für ein Kind entschieden, doch fürchten sie die Unvereinbarkeit von Liebe, Karriere und Erziehung. Deshalb nehmen sie am Prestigeprojekt des Weißen Schlosses teil, wo Leihmütter Kinder fremder Eltern austragen und aufziehen, alles sozusagen Bio und Fair Trade. Elternschaft ist hier Beruf, überwacht und gelenkt von einem alles kontrollierenden Apparat. Der Nachwuchs kann jederzeit besucht werden. Über neun Monate zeigt der Roman die beiden auf dem Weg zum eigenen Kind, folgt den Veränderungen ihres Selbstbilds und ihrer Beziehung. Im Stile von Kazuo Ishiguros »Alles, was wir geben mussten« stellen sich wichtige Fragen unserer Zeit in eigener Versuchsanordnung: Ab wann ist Bindung ein Verlust von Freiheit? Was ist Familie? Sind die tradierten Rollenbilder von Mutter und Vater verhandelbar? Spielerisch erreicht »Das Weiße Schloss« eine stilistische Größe sowie eine gedankliche Tiefe voller literarischer Verweise und Fragestellungen und wird so zu einem fulminanten Gewebe von transzendenter Leuchtkraft.


Meine Meinung:

In diesem Buch stecken viele interessante Gedanken. Durch das dystopische Setting wird das große Thema des Romans – Kinder und Familie – von einer ganz anderen Seite beleuchtet. Was macht eigentlich eine Familie aus? Wozu Kinder haben, wenn man sie nicht bei einem wohnen, man sie nur selten sieht, sie nicht erzieht? Muss man sich immer entscheiden, zwischen dem eigenen Leben, der Karriere und einer Familie? Muss man sich für Kinder immer ein Stück weit selbst aufgeben? Was bedeutet es eigentlich, Vater/ Mutter zu sein?
Das wird an dem Beispiel von Ada und Yves sehr schön veranschaulicht. Sie führen eine sehr intensive Beziehung, lieben sich, haben ein erfülltes Sexleben. Sie gehen voll auf in ihren jeweiligen Berufen. Ada arbeitet in einem Amt, das potentielle Kandidaten auswählt, die in ihr Land immigrieren dürfen, weil sie eine Bereicherung für die Gesellschaft wären. Yves ist Künstler und über eben jenes Programm in das Land gekommen.
Das Land ist übrigens nicht genauer bezeichnet. Auch die Zeit in der die Geschichte spielt, ist nicht genau bekannt. Aber an einigen Fakten, die am Rande genannt werden, kann man schließen, dass es sich um eine Zeit in der Zukunft handelt. 
Da gibt es nämlich zum Beispiel die Organisation "Das weiße Schloss". In diesem Schloss leben Mütter, die man sich –wenn man das harte Auswahlverfahren übersteht– als Leihmutter für das eigene Kind buchen kann. Die Leihmutter trägt das Kind auf dem Schloss aus, während für sie und das Kind gut gesorgt wird. Alles ist auf Optimierung der Schwangerschaft ausgelegt. Es gibt einen auf Monat und Zustand der Mutter angepassten Ernährungsplan, Sport, Entspannung, zertifiziertes Material zur Stimulation der geistigen Fähigkeiten. Alles ist genau durchorganisiert. Das die Mütter glücklich sind, ist unglaublich wichtig. Nicht etwa um der Mütter selbst willen, sondern weil negativer Affekt Auswirkungen auf das ungeborene Kind hat. 
Aber mit der Geburt des Kindes ist die Aufgabe der Leihmutter noch nicht erfüllt. Denn auf Wunsch der zahlenden Eltern, kann das Kind auch weiterhin bei der Leihmutter auf dem Schloss leben und wird dort von der Leihmutter erzogen und versorgt. Die Eltern können so oft sie wollen zu Besuch auf das Schloss kommen und dort Zeit mit dem Kind verbringen. 
Das Thema Kinderwunscherfüllung wird hier als vollkommene Dienstleistung dargestellt. Von der Auswahl der geeigneten Leihmutter, über Befruchtung und Empfängnis bis hin zu Ernährung, Erziehung und Bildung. Ein weiterer Aspekt der betont wird, ist ein Finanzieller. Die Investition in die Bildung des Kindes ist gleichzeitig eine Altersabsicherung, da die Eltern per Vertrag zu "Teilhabern der späteren Verdienste des Kindes" erklärt werden. (S. 42) 
Für mich war das alles ein sehr abenteuerliches Konzept, wie ich finde. Da schossen mir beim Lesen sofort sehr viele Gedanken und Fragen durch den Kopf. 

Als bei Yves und Ada das Thema Familienplanung aufkommt, ist schnell Das weiße Schloss im Gespräch. Denn eins weiß Ada ganz genau: sie will nicht sein wie ihre Schwester, die nur noch für ihre Familie lebt. Das Umsorgen der Familie und die Rolle als Mutter wird aus Adas Sicht als furchtbar eintönig, undankbar und kräftezehrend dargestellt. 
Das Konzept des Schlosses scheint Ada und Yves ideal: ein Kind haben, ohne den jugendlichen, hedonistischen Lifestyle aufgeben zu müssen. Weiterhin Sex und Alkohol, wann sie wollen. Ausschlafen, spontane Reisen und Ausflüge im Cabrio, in dem eh kein Platz für ein Kindersitz ist. Eine Familie, aber keine Verpflichtungen.


"Solange sie immer taten, wonach ihnen war, waren sie nicht langweilig, sondern selbstbestimmt." (Aus "Das weiße Schloss", S. 193)

Die Geschichte wird abwechselnd aus Adas und Yves Perspektive erzählt. Unterbrochen werden sie durch Einschübe, die sich alle in irgendeiner Art und Weise um das Thema Schwangerschaft und Familie drehen. Da geht es um Forscher, die den Prozess der Verschmelzung von Eizelle und Spermium entdeckt haben. Um die Entwicklung des Fötus im Mutterleib. Um philosophische Betrachtungen der Konzepte Mutterschaft und Familie. Diese Einschübe haben mir besonders gut gefallen, da ich einiges Neues gelernt habe und die Ergänzung zu der unterhaltenden Romanform sehr gelungen fand.

Generell hat mir das Thema des Romans und die Art und Weise, wie damit umgegangen wurde, sehr gut gefallen. Es wurde ein völlig neues Konzept von Elternschaft vorgestellt, ohne dem Leser/ der Leserin gleich eine Bewertung aufzudrängen. Vielmehr werden Fragen aufgeworfen. Gut fand ich auch, dass in dem Roman auch Platz war für "unbeliebte" Meinung, was das Thema Mutterschaft und Familie angeht. Dass es eben Frauen gibt, die sich das Leben mit einem Kind, ein Leben in der klassischen Mutterrolle nicht vorstellen können. Dass es auch Mütter gibt, die mit ihrer Rolle als Mutter unglücklich sind, die überfordert sind. Die ihrem alten Leben mit den vielen Freiheiten manchmal nachtrauern. Das ein Kind das Leben nicht nur bereichert, sondern eben auch Einschränkungen und viele Umstellungen mit sich bringt. Für all diese oft eher verschwiegenen oder beschämt hervorgebrachten Themen ist Platz in dem Roman. Das hat mir sehr gefallen. 

Insgesamt hatte ich aber dennoch so meine Schwierigkeiten mit dem Roman. Der Schreibstil hat mir nicht so gut gefallen. Ich fand ihn oft unnötig kompliziert und teilweise kam es mir irgendwie etwas prätentiös vor. Auch mit den Charakteren wurde ich nicht so richtig warm und es blieb die ganze Zeit über eine gewisse Distanz bestehen. Das kann vom Autor durchaus so gewollt gewesen sein, hat es mir aber beim Lesen dennoch schwieriger gemacht, mich von der Geschichte packen zu lassen und sie wirklich begierig zu lesen. 




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Fazit:

Ein sehr interessantes Buch mit vielen Gedanken zum Thema Elternschaft und wie diese das eigene Leben, die Beziehung verändert. Mich hat es leider nicht ganz begeistern können, weil mir der Schreibstil nicht so gut gefallen hat und ich mit den Charakteren nicht warm wurde. Ich habe das Buch dennoch gern gelesen, weil es mir so viele Gedankenanstöße geliefert hat und mich einen ganz neuen Blick auf das Konzept von Elternschaft hat werfen lassen. 


Biblio
Verlag: Berlin Verlag (Piper)
Seiten: 304

Das Buch wurde mir vom Berlin Verlag kostenlos als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Rezension basiert ausschließlich auf meinen persönlichen Leseeindrücken und wird durch die Bereitstellung des Buches nicht beeinflusst.


Das könnte euch auch gefallen:

Die Hochhausspringerin – Julia von Lucadou
--> Ebenfalls ein dystopischer Zukunftsroman, der eine mögliche Zukunft aufzeigt und Entwicklungen in unserer Gesellschaft weiterdenkt.

Dann schlaf auch du – Leila Slimani
--> Auch wenn dieser Roman einen anderen Schwerpunkt setzt, spielen auch hier die Themen Elternschaft und die Auswirkungen auf Job, Beziehung und das Leben generell eine große Rolle.


Plauderecke:

Habt ihr das Buch schon gelesen? Wie hat es euch gefallen? 
Und findet ihr das Cover auch so wunderschön? 

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4 Kommentare

  1. Guten Morgen liebe Julia,
    das Cover ist toll. Nun, nach dem Lesen Deiner starken Rezension assoziiere ich gleich ganz viel hinein. Das Buch an sich ist nichts für mich aber es wäre perfekt um in einer Diskussionsrunde zu besprechen. Vor kurzem habe ich "Alles was wir geben mussten" gelesen und ich hatte so unendlich viele Fragen. Hier würde es mir genauso gehen. Die Vorstellung das Kinder 'außer Haus' aufwachsen ist ja gar nicht so abwegig. Internate und Co sind da meine ersten Gedanken. Die Mutterrolle ist nicht einfach und ich denke das es da so viele Aspekte gibt und jede das nur für sich alleine festmachen muss. Auch das Thema der Leihmutterschaft stelle in gar nicht in Frage. Es gibt Frauen (und Männer) die ohne niemals Eltern werden könnten und warum sollte denen die Chance verwehrt werden. Echt nicht einfach, sag ich ja. Ein sehr persönliches Thema.
    Hab Dank für diese Eindrücke. Wünsche dir einen schönen Sonntag, liebe Grüße
    Kerstin

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    1. Liebe Kerstin,
      Danke für deinen Kommentar. Das stimmt, das Thema ist wirklich sehr komplex und persönlich. Deswegen fand ich das in dem Buch ja auch so gut, dass da mal eine völlig neue Sichtweise auf das Konzept gegeben wurde. Es regt zum Nachdenken an und hat zumindest mich dazu gebracht zu überlegen, was ich mir für mein Leben wünsche/ vorstellen kann. Ganz spannend. Und ja, da gäbe es bestimmt sehr viel zu diskutieren.
      "Alles was wir geben mussten" steht auch schon eeewig auf meiner Leseliste.
      Liebe Grüße, Julia

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  2. DAS COVER *-*
    Und der Inhalt macht mich mega neugierig! Ein must-have und deine Kritik, kann ja genau das sein, was mir gefällt ;) Wir zwei neigen ja dazu, Bücher/Geschichten sehr unterschiedlich wahrzunehmen und sind eher bei dem düsteren Genre, hihi, auf einer Welle! Der Titel kommt definitiv weit nach oben auf meine WuLi, die Thematik reizt mich mit dem Schloss einfach sehr!

    Hab einen mukkeligen Adventsabend :-*

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    1. Das Cover ist echt ein Träumchen, oder?
      Freut mich sehr, dass ich dich auf das Buch noch weiter neugierig machen konnte. Und ich bin jetzt schon gespannt auf deine Meinung dazu.
      Hab eine tolle Woche. LG, Julia

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